Der lange Arm des ISIS

Irisha kommt aus dem Irak. Ihr Sohn ist ein Jahr alt als die Jahre der Flucht begannen.

Irisha kommt aus dem Irak, eigentlich aus Syrien, Irak war das erste Land auf ihrer langen Flucht aus dem Krieg. Im Irak sind Irishas Eltern entführt und getötet worden, der lange Arm des ISIS. Also ging die Flucht weiter, Irisha, ihr Mann, seine Mutter und zu diesem Zeitpunkt ein einjähriger Sohn. Die nächste Station war die Türkei. Irisha geht es sehr schlecht in dieser Familie, ihr Mann ist abhängig von seiner alles bestimmenden Mutter, beide reagieren sich an der jungen Frau ab. Diese Schwiegermutter hat so wirklich „das Sagen“. Sie bestimmt sogar, wann ihr Sohn im Schlafzimmer seiner Frau schlafen darf und wann er ein Kind zeugen soll, sonst sind die Zimmer zu trennen. Über alles, wie auch über den Zeugungsakt muss der Mann berichten, er fügt sich dieser Ordnung. Und er fügt sich auch, als die Mutter ihren Sohn auf die weitere Flucht schickt, sie will in den Westen. Irisha und ihr kleiner Sohn bleiben bei ihr. Vier lange und sehr harte Jahre, bis der Mann Irisha und den kleinen Murad nachholt, die Mutter bleibt in der Türkei.

Eines Tages wird Somia, eine der NACHBARINNEN gerufen, das Amt für Kinder und Jugendschutz hat sich eingeschaltet. Als Somia in die Familie kommt, bietet sich folgendes Bild:
Murad, inzwischen neun Jahre alt, wurde von seinem Onkel zu Hause geschlagen. Sein Vater schützte ihn nicht, im Gegenteil, er sagte dem Onkel, er könne Murad auch töten, wenn er das für richtig hielte. Murad sagte er, er könne ja die Polizei rufen, allerdings nur, wenn er sicher wüßte, dass seine Mutter keine Hure sei. Murad rief die Polizei. Der Onkel war weg, der Vater sagte, der Bub würde lügen. Murad zeigte seine Verletzungen, unglaublich aber wahr – die Polizei ging. Daraufhin bekam Murad Prügel von seinem Vater, weil er die Poliztei ins Haus geholt hat. Irisha war so klug und filmte das geheim, jetzt rief sie die Polizei. Und so war der Vater endlich weggewiesen und die MA11 schaltete sich ein. In dieser Familie ist viel zu tun. Außer Murad und viel schlechter seine zwei kleinen Schwestern, spricht allerdings niemand Deutsch, obwohl die Familie seit 7 Jahren hier ist. Also engagiert die MA11 die NACHBARINNEN und Somia, als arabischsprachige und sehr erfahrene Frau tritt sie auf den Plan. Wo fängt sie an?

Irisha ist komplett verunsichert, sie hat keinerlei Kontakte, weder in die eigene Community noch sonst zu jemandem. Die Kinder sind verstört und schwanken zwischen Rückzug und Aggressivität. In der Schule sind sie äußerst schwach, es gibt keinerlei sinnvolle Freizeitaktivitäten, keinerlei Tagesstruktur.

Somia fängt mit ganz kleinen Schritten an. Irisha sagt jeden Tag zumindest 5 positive Wörter zu jedem Kind und läßt sich diese Wörter auf Deutsch übersetzen. Das funktioniert schon einmal wunderbar, in der Woche drarauf sind alle fröhlicher. Irisha kann zwar kein Deutsch aber sie hat in Syrien Matura gemacht. Somia kann ihr in der Muttersprache erklären, wie die Schule hier funktioniert und gibt ihr die Aufgabe täglich in die Mitteilungshefte zu schauen und sich die Einträge von den Kindern übersetzen zu lassen. Auch das klappt, nach zwei Wochen, kann die Mutzter ein paar Wörter Deutsch: positive Wörter für ihre Kinder und Mitteilungshefteinträge.

Jetzt beginnt Somia die Finanzen der Familie zu regeln. Sie bringt Irisha einfach Einnahmen/Ausgabenlisten bei, Irisha versteht nun, warum nichts übrig bleibt, Somia zeigt ihr den Sozialmarkt, dort findet Irisha Essen und Kleidung und beginnt sinnvoll zu sparen. In der Zwischenzeit hat Somia vom Verein eine häusliche Lernhilfe angemeldet, alle drei Kinder werden nun jeweils 3 Stunden pro Woche zu Hause unterrichtet, in dieser Zeit besucht Irisha einen Yogakurs für junge Frauen im Jugendzentrum.

Somia fällt auf, dass Irisha aufrechter geht und das ist nicht nur durch Yoga, auch durch ein bestimmteres Selbst. Also denkt Somia, sie kann ihr langsam noch etwas mehr zumuten. Sie geht mit Irisha in die Nähwerkstatt der NACHBARINNEN und läßt sie die Luft schnuppern, die bedeutet, jeden Tag in der Früh das Haus zu verlassen und arbeiten zu gehen. Irisha schaut und hört und fühlt sich sehr schnell wohl, sie möchte den Praktikumsplatz haben. Ein Schnuppertag wird ausgemacht, es muss für Alle passen.  Zehn Tage später ist Irisha Praktikantin und genießt es, Frauen um sich zu haben, die Ähnliches erlebt haben und mit denen sie sich täglich austauschen kann. Das Praktikum dauert drei Monate und in diesen drei Monaten kümmert sich Somia darum, dass Irisha Perspektivengespräche und Kompetenzchecks bei den verschiedenen Wiener Einrichtungen macht, durch dieses Arbeitstraining ist klar, Irisha wird nicht mehr zu Hause bleiben. In der Nähwerkstatt ist Irisha beim dortigen Deutsch Konversationskurs dabei und ein guter Deutschkurs für nachher ist schon gebucht, der geht auch berufsbegleitend.

Durch die Lernhelferin, die jede Woche zu den Kindern nach Hause kommt, sind die Kinder aufgeweckt und viel fröhlicher geworden. Murad geht mit anderen Burschen ins MUMOK zu einem Scratch Kurs, das ist eine Kooperation, die die NACHBARINNEN mit dem MUMOK haben und dreimal in der Woche zum Fussballtraining.

Dafür begleitet Murad die zwei Mädchen zweimal in der Woche in die nahegelegene Bücherei und bringt ihnen den Fußweg so bei, dass sie es bald allein schaffen. Die Mädchen gehen auch nebenan zu Superar, es begeistert sie total, dort Teil einer Gruppe zu sein und Musik zu machen.

Nach jetzt 8 Wochen steht die Familie auf ganz neuen Beinen. Der Vater darf noch nicht nach Hause, besucht aber seit der Wegweisung einen Kurs für Antigewalttraining und eine Therapie. Hoffnung.

Ein bisschen fehlt noch, dann kann Somia abschließen und sich einer anderen Familie widmen. Sie kann so richtig stolz auf sich sein.
Danke Somia! Du hast Irisha, Murad und den beiden Mädchen eine neue Chance im Leben geschenkt.

Bericht vom
07. 03. 23

Somia Babiker

Somia Babiker ist fast seit Beginn bei den NACHBARINNEN. Sie ist ein Role Model wie aus dem Bilderbuch.
"Welche Zukunft wollt ihr denn für eure Kinder?' Das ist meine Lieblingsfrage an Familien"

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